Pzwei. Blog.
Von Schneckenhäusern und Streichhölzern
Richard Steiner (Werkstatt West), langjähriger Partner von Pzwei, erzählt uns etwas über das Handwerk „Graphic Recording“.
Wenn sich Peter B. in einem Workshop entrüstet zu Wort meldet und über den täglichen Druck klagt, der mit der Abarbeitung von Kunden-E-Mails einhergeht, zeichne ich ein zum Bersten aufgedunsenes Kuvert. Das Kuvert bekommt einen panischen Gesichtsausdruck, und aus den Ecken dampft es bedrohlich heraus.
Maria G. hat hingegen Sorgen wegen der viel zu langen Auslieferungszeiten der hauseigenen Spedition. Also zeichne ich einen LKW mit einem Schneckenhaus statt des üblichen Planen-Aufbaus. Und schreibe zwei Wörter in den Schneckenschleim: „Lange Lieferzeiten“.
Bibiane L. betrachtet die Dinge gerne abstrakter und hat festgestellt, dass dem Unternehmen jegliche Leidenschaft abhandengekommen ist, und letztlich auch die gegenseitige Motivation unter den Mitarbeitern. Ich krame wieder in meinem inneren Bild-Vokabular und male vielleicht eine fröhliche Person, die mit einem Streichholz eine andere, kerzenähnliche Person, entflammt. Auf die darunter liegende Streichholzschachtel schreibe ich ganz knapp „Motivation“. Wenn ich Zeit habe, verstreue ich noch ein paar angekokelte Streichhölzer in der Gegend oder kümmere mich um Schattierungen.
Darf ich mich vorstellen: Mein Name ist Richard Steiner, ich bin Grafiker und Kommunikationsberater. Seit ein paar Jahren habe ich ein neues Steckenpferd, das Graphic Recording. Eine Disziplin, die stark vom aktuellen Zeitgeist geprägt ist, Dinge wieder von Hand zu machen. So entstehen in Echtzeit großformatige Bild-Text-Protokolle, die die wichtigsten Aussagen und Momente einer Veranstaltung oder Sitzung chronologisch festhalten. Im Kern besteht meine Aufgabe darin, Gedanken in aussagekräftige und einprägsame Bilder zu übersetzen.
Bespaßung oder erstzunehmende Dienstleistung?
Graphic Recorder werden auch gerne als Graphic Facilitator (= Vermittler/Unterstützer) bezeichnet. Das rührt daher, dass ein fortlaufendes, vereinfachendes Bild-Protokoll einer Gruppe gute Dienste leisten kann, um sich jederzeit wieder auf bereits Gesagtes zu beziehen. Dazu reicht es aus, auf eine entsprechende Zeichnung zu zeigen, und alle Anwesenden werden augenblicklich wissen, wo das nun Folgende anschließen will.
Am stärksten ist Graphic Recording dort, wo das Panoramabild direkt neben den TeilnehmerInnen entsteht und als Teil des Arbeitsumfeldes verstanden wird. Aber auch in linearen Vorträgen entstehen attraktive Zusammenfassungen, die man den Beteiligten nach der Veranstaltung per Mail zusenden kann und die die wichtigsten Inhalte unterhaltsam in Erinnerung rufen.
Wenn Gruppen mehrere Stunden zusammen arbeiten, bietet Graphic Recording einen Überblick darüber, welche Themen bereits behandelt wurden und welche Ergebnisse es gab. Die vielen Wortmeldungen haben sich in gewisser Weise „materialisiert“ und laufen nicht Gefahr, beim nächsten Lüften aus dem Zimmer zu fliegen.
Es darf an der Stelle aber auch zugegeben werden, dass das schrittweise Entstehen eines Graphic Recordings für die Teilnehmer letztlich auch faszinierend und unterhaltsam ist. Ich bin gerne Teil einer guten Show.
Aufs Format kommt’s an
Weniger sinnvoll ist es hingegen, kooperative Kleingruppen-Settings, wie etwa das beliebte „World Café“, zeichnerisch zu begleiten. Es sei denn, man ist ein Team von zehn Leuten. Da das aber meist nicht der Fall ist und man nicht an allen Tischen gleichzeitig sein kann, bleibt einem nur die Möglichkeit, wahllos Stichworte von den wild bemalten Tischdecken aufzuschnappen. Das ist für meinen Geschmack etwas zu viel an inhaltlicher Filter-Funktion. Und die im Stakkato vorgetragenen Präsentationen am Ende überfordern sogar den schnellsten Zeichner. Im Grunde kommt man sich hier so deplatziert vor, wie ein Leierkastenspieler auf einer Beerdigung.
Völlig versaut
Am Ende eines langen Graphic Recording Tages stellen sich immer die gleichen zwei Phänomene ein: Mein Schädel brummt, und meine Hände sehen aus, als hätte man einen Zweijährigen in der Libro-Stifte-Abteilung spielen lassen. Aber es fühlt sich großartig an, einen Tag völlig ohne Computer verbracht zu haben. Zum ersten Mal an diesem Tag lass ich mich auf einen Stuhl plumpsen und betrachte das riesige Bild, das selbst für mich wie von Zauberhand entstanden ist. Und dann sage ich mir wieder: „Na gut, dann kümmerst DU dich eben um die ANALOGISIERUNG.“
Richard Steiner (Werkstatt West), langjähriger Partner von Pzwei, erzählt uns etwas über das Handwerk „Graphic Recording“.
Wenn sich Peter B. in einem Workshop entrüstet zu Wort meldet und über den täglichen Druck klagt, der mit der Abarbeitung von Kunden-E-Mails einhergeht, zeichne ich ein zum Bersten aufgedunsenes Kuvert. Das Kuvert bekommt einen panischen Gesichtsausdruck, und aus den Ecken dampft es bedrohlich heraus.
Maria G. hat hingegen Sorgen wegen der viel zu langen Auslieferungszeiten der hauseigenen Spedition. Also zeichne ich einen LKW mit einem Schneckenhaus statt des üblichen Planen-Aufbaus. Und schreibe zwei Wörter in den Schneckenschleim: „Lange Lieferzeiten“.
Bibiane L. betrachtet die Dinge gerne abstrakter und hat festgestellt, dass dem Unternehmen jegliche Leidenschaft abhandengekommen ist, und letztlich auch die gegenseitige Motivation unter den Mitarbeitern. Ich krame wieder in meinem inneren Bild-Vokabular und male vielleicht eine fröhliche Person, die mit einem Streichholz eine andere, kerzenähnliche Person, entflammt. Auf die darunter liegende Streichholzschachtel schreibe ich ganz knapp „Motivation“. Wenn ich Zeit habe, verstreue ich noch ein paar angekokelte Streichhölzer in der Gegend oder kümmere mich um Schattierungen.
Darf ich mich vorstellen: Mein Name ist Richard Steiner, ich bin Grafiker und Kommunikationsberater. Seit ein paar Jahren habe ich ein neues Steckenpferd, das Graphic Recording. Eine Disziplin, die stark vom aktuellen Zeitgeist geprägt ist, Dinge wieder von Hand zu machen. So entstehen in Echtzeit großformatige Bild-Text-Protokolle, die die wichtigsten Aussagen und Momente einer Veranstaltung oder Sitzung chronologisch festhalten. Im Kern besteht meine Aufgabe darin, Gedanken in aussagekräftige und einprägsame Bilder zu übersetzen.
Bespaßung oder erstzunehmende Dienstleistung?
Graphic Recorder werden auch gerne als Graphic Facilitator (= Vermittler/Unterstützer) bezeichnet. Das rührt daher, dass ein fortlaufendes, vereinfachendes Bild-Protokoll einer Gruppe gute Dienste leisten kann, um sich jederzeit wieder auf bereits Gesagtes zu beziehen. Dazu reicht es aus, auf eine entsprechende Zeichnung zu zeigen, und alle Anwesenden werden augenblicklich wissen, wo das nun Folgende anschließen will.
Am stärksten ist Graphic Recording dort, wo das Panoramabild direkt neben den TeilnehmerInnen entsteht und als Teil des Arbeitsumfeldes verstanden wird. Aber auch in linearen Vorträgen entstehen attraktive Zusammenfassungen, die man den Beteiligten nach der Veranstaltung per Mail zusenden kann und die die wichtigsten Inhalte unterhaltsam in Erinnerung rufen.
Wenn Gruppen mehrere Stunden zusammen arbeiten, bietet Graphic Recording einen Überblick darüber, welche Themen bereits behandelt wurden und welche Ergebnisse es gab. Die vielen Wortmeldungen haben sich in gewisser Weise „materialisiert“ und laufen nicht Gefahr, beim nächsten Lüften aus dem Zimmer zu fliegen.
Es darf an der Stelle aber auch zugegeben werden, dass das schrittweise Entstehen eines Graphic Recordings für die Teilnehmer letztlich auch faszinierend und unterhaltsam ist. Ich bin gerne Teil einer guten Show.
Aufs Format kommt’s an
Weniger sinnvoll ist es hingegen, kooperative Kleingruppen-Settings, wie etwa das beliebte „World Café“, zeichnerisch zu begleiten. Es sei denn, man ist ein Team von zehn Leuten. Da das aber meist nicht der Fall ist und man nicht an allen Tischen gleichzeitig sein kann, bleibt einem nur die Möglichkeit, wahllos Stichworte von den wild bemalten Tischdecken aufzuschnappen. Das ist für meinen Geschmack etwas zu viel an inhaltlicher Filter-Funktion. Und die im Stakkato vorgetragenen Präsentationen am Ende überfordern sogar den schnellsten Zeichner. Im Grunde kommt man sich hier so deplatziert vor, wie ein Leierkastenspieler auf einer Beerdigung.
Völlig versaut
Am Ende eines langen Graphic Recording Tages stellen sich immer die gleichen zwei Phänomene ein: Mein Schädel brummt, und meine Hände sehen aus, als hätte man einen Zweijährigen in der Libro-Stifte-Abteilung spielen lassen. Aber es fühlt sich großartig an, einen Tag völlig ohne Computer verbracht zu haben. Zum ersten Mal an diesem Tag lass ich mich auf einen Stuhl plumpsen und betrachte das riesige Bild, das selbst für mich wie von Zauberhand entstanden ist. Und dann sage ich mir wieder: „Na gut, dann kümmerst DU dich eben um die ANALOGISIERUNG.“
Kommentare sind geschlossen.